Liebe Freunde!                  Seit über vier Wochen bin ich von  Indien zurück, aber immer noch stehen mir viele Bilder und Situationen lebendig vor Augen. Es war eine vor allem an warmen menschlichen Begegnungen reiche Reise. Wir waren zu dritt: Meine älteste Enkelin Ronja (20) und wie auch schon die ganzen  letzten Jahre Sohn Friedrich (48). Am 6. Januar wurden wir von Father Peter am Bahnhof der Millionenstadt Ahmedabad herzlich empfangen und nach indischer Sitte mit einer Blumenkette bekränzt. Am nächsten Tag ging es gleich weiter Richtung Norden. Am späten Vormittag kamen wir in Poshina an. Das alte Bauernhaus von Jivan Wadi – dem Garten des Lebens – leuchtet inzwischen in strahlendem Weiß und ist nach jeder Seite breiter geworden. Rechts liegt ein neuer Vorratsraum und nach hinten gibt es ein Gästezimmer mit eigenem Bad.  Links ist ein Lagerraum angebaut, in dem zwei Betten stehen. Das Haus liegt abseits einer kleinen Straße, große alte Mangobäume beschatten den Vorplatz. Da gibt es einen Wasserhahn für die Nachbarn und Vorbeikommenden, ein zweites Klohäuschen im indischen Stil und unter einem großen Mangobaum einen Tisch mit Sitzgelegenheiten. Immer wieder finden sich  da Besucher ein, die mit Peter sprechen möchten. Rechts und links erstrecken sich die  Felder mit Gemüse für die Kinderheime. Der Brunnen erneuert sein Wasser aus den Kiesschichten des nahen kleinen Flusses und scheint unerschöpflich.                                        Am nächsten  Tag fuhren wir dann zum Dorfschulkinderheim in Padapat , vielleicht 10 km nach Süden auf schmalen Wegen  in die Berge. Vorher aber hielten wir beim Zuckerbäcker an, um Süßigkeiten für die Kinder der Heime zu kaufen. Drei gefüllte Plastikbeutel lagen im alten Jeep von Peter vorne neben meinen Füßen. Die ca. 40 Kinder warteten schon darauf, weil sie wissen, dass Peter immer an dem Laden vorbei fährt, wenn er ein Heim besucht.                  Nach einer Weile kamen der Schulleiter der örtlichen Schule und seine Frau. Sie  haben ihr neues Haus für die Kinder zur Verfügung gestellt  und wohnen jetzt wieder in dem alten, das aber bald renoviert werden soll. Nur dadurch war es möglich das Heim in Bedi zu errichten. Als wir  dort waren, sahen wir einen kleinen Jungen wie verloren neben den größeren Kindern stehen. „Das ist Karan“, erklärte Father Peter. „Er ist drei Jahre alt und kommt immer hier her, weil seine Mutter im Heim als Köchin gearbeitet hat. Als sie Tuberkulose bekam, hat ihre Familie sie zu Zauberdoktoren gebracht. Seitdem ist sie psychisch krank.  Der Kleine hat jetzt Angst vor seiner Mutter und will nicht mehr in ihrer Nähe sein.“  Aber als Karan vor dem fremden Besuch zu weinen begann, nahmen ihn zwei Kinder in die Arme und trösteten ihn. Als wir wieder in Jivan Wadi waren, lernten wir die anderen Leiter und Lehrer der Dorfschulkinderheime kennen. Peter hatte sie zu einem Gottesdienst eingeladen. Wir feierten in dem mittleren Raum zusammen die Messe und konnten gemeinsam das Vaterunser sprechen. Am nächsten Nachmittag fuhren wir zum Dorf Pipalia, dem ersten der Heime. Auf einem kleinen Hügelrücken liegt neben einigen eng zusammengedrückten Häusern das kleine  Gemeinschaftshaus. In dem einzigen größeren Raum leben und lernen 70 Kinder, Mädchen und Jungen aus dem weit zerstreuten Dorf. Peter überlegt, ob er auf den Hauptraum noch einen Raum bauen kann, weil zu wenig Platz  ist. Der Leiter Naranbhai erzählte: „Angefangen habe ich vor zwei Jahren mit 7 Kindern, jetzt sind  es 70, fast zu viel für das Haus.“ Nachdem die Hausaufgaben gemacht waren, stellte Naranbhai Musik an und die Kinder tanzten mit ihm zusammen einen Tanz der Adivasi. Die haben einen langen Tag hinter sich: Um sechs Uhr stehen sie auf, waschen sich und machen den Raum und den Hof sauber. Um 7 Uhr 30 gibt es Frühstück. Bis 10 Uhr 30 wird gelernt, dann gibt es Gemüse und Chapaties, bevor sie zum Unterricht in die Dorfschule gehen. Der Unterricht dauert von 11 – 17 Uhr, danach folgen Hausaufgaben und Zeit zum Spielen. Nach dem Abendessen um 18.30 Uhr  weiter gelernt – um 21 Uhr ist Nachtruhe. Fr. Peter erklärte uns,  dass viele der Eltern Analphabeten sind und deshalb ihren Kindern nicht helfen können. Diese müssen nach den sieben Jahren Grundschule einen guten Abschluss vorweisen können. Nur dann können sie einen ordentlich bezahlten Arbeitsplatz in der Stadt bekommen. Das kleine Stück Land der Eltern kann höchstens  eines der meist vielen Kinder der Adivasi ernähren. Anschließend fuhren wir zum Dorf  Bedi, zu dem erst im letzten Jahr eröffneten Haus für 30 Kinder. Dort wurden wir vom Leiter Prakashbhai und den Kindern mit großem Hallo empfangen. Jeder Besucher bekam eine große Studentenblume in die Hand gedrückt. Dann saßen wir mit den Kindern auf   der Veranda, die Unterrichtsraum, Schlafplatz und in der Regenzeit auch  Platz zum Essen ist.  Wir stellten natürlich die Puppen Jigar und Kokila vor. Großer Jubel! Die Kinder hatten dann Zeit zum Spielen. Wir freuten uns daran, dass die Kinder in Bedi viel freier wirken als in den beiden anderen Heimen. Peter hat das Haus von einer Bauernfamilie für das Heim zur Verfügung gestellt bekommen. Die Bäuerin, die einige Jahre Bürgermeisterin von Bedi war, meinte dazu: „Wir haben  gedacht, es ist wichtiger, dass unsere Kinder hier im Dorf  gut lernen. Deshalb sind wir im alten Haus wohnen geblieben.“ Unter den 30 Kindern zählen wir fünf Mädchen. „So wenige Mädchen?“ fragten wir Fr. Peter. „So viele!“ antwortete er, denn in Bedi und den benachbarten Dörfern ging noch nie ein Mädchen zur Schule. Die Leute sahen nicht ein, wozu Mädchen Lesen und Schreiben lernen sollten, wo sie doch bei der Arbeit im Haus und auf dem Feld genug zu tun und zu lernen hätten. Als Peter nun im Dorf ein Heim für die Kinder einrichten wollte, schlug er vor, nur Mädchen in der geplanten Einrichtung zu fördern. Das ging den Dorfleuten dann doch zu weit und so einigte man sich darauf, mit einigen Mädchen zu beginnen. So stellen die fünf Mädchen, die im Heim wohnen und mit den Jungen zum ersten Mal in der Geschichte des Dorfes zur Schule gehen, doch eine gar nicht so kleine Revolution dar.  Peter ist zuversichtlich, dass damit der Damm gebrochen ist und nach einigen Jahren die meisten Mädchen die nahe Dorfschule besuchen werden. Mit herzlichen Grüßen sind wir Ihre Cornelia Haber und Ehrhardt Wichmann