Rechtsfindung bei den Adivasi von Poshina

Eine Beispiel  (Die Personen-Namen nur angedeutet)

 

Father Peter schreibt am 20. Juni 2012

Einige Tage später (nach dem 20.Mai) traf die Familie von M… eine große Tragödie. Ihr ältester Sohn D… brachte einige Gäste der Familie mit ihrem neuen Jeep in der Nacht zur Busstation eines nahen Ortes. Ihm entgegen fuhr ein anderer Jeep voll von  Hochzeitsgästen. Einige hingen außen am Jeep an der Fahrerseite. D… wurde offensichtlich von den Scheinwerfern geblendet und erfasste einen der am Jeep hängenden Leute, der auf der Stelle tot war. Das passierte 2 km vom Zielort entfernt. D… hielt nicht an ,sondern fuhr zur Polizeistation und übergab ihnen seinen Jeep. Der Fahrer wurde zur eigenen Sicherheit  in Gewahrsam genommen.

5 oder 7 von den „Dorfältesten“ entschieden daraufhin, dass M… an die Familie des Toten eine Entschädigung zahlen müsse. Dieses Vorgehen ist hierzulande üblich. Außerdem drohten sie, den Toten vor sein Haus  zu legen, wenn er nicht bereit sei, die Summe zu zahlen. M… hatte keine Chance, er musste zustimmen, sonst würde die Leiche für viele Tage vor seinem Haus liegen und verwesen. Aber die Summe war eine riesige Wiedergutmachungszahlung: eine Million Rupien. Das war ohne Beispiel, noch nie hatte man von so einer hohen Summe gehört. Die Schuld lag ja bei beiden Fahrern, trotzdem wurde die Zahlung nur für eine Seite verhängt.

M… zahlte sofort 140.000 Rupien um zu vermeiden, dass die Leiche vor ihren Augen  verwesend liegt und versprach, den Rest später zu zahlen.

M’s Familienname ist Da. In solchen Situationen geben alle Da.-Familien in der Umgebung einen Beitrag zu der Strafe – aber nicht eine Millionen Rupien. Einige Zeit nach dem Unfall kamen viele Mitglieder der D.-Familie in P. zusammen. Es kamen aber nur 40.000 Rupien zusammen. Ich selber (Father Peter) habe 5.000 Rupien als Zeichen des guten Willens gegeben.

Ehe die ganze Strafsumme bezahlt ist, lebt die Familie in Unsicherheit. Die Versicherung zahlt vielleicht noch etwas, aber M. hat sich geweigert, den Rest zu zahlen. Er sagt, er würde eher sterben als solcher Ungerechtigkeit zuzustimmen, denn die Schuld liege auch bei dem anderen Fahrer. Sein Jeep gehörte dem Bürgermeister eines nahen Dorfes.

 

Weitere Erläuterungen:

Es ist meist  so bei Mordfällen, dass der Verdächtige gezwungen wird, die Familie durch etwa 300.000 Rupien zu entschädigen.  Die Polizei oder die Versicherung macht da nichts. Die Leiche des Toten wird vor dem Grundstück der schuldigen Partei liegen gelassen, um sie zu zwingen, die Summe so schnell wie möglich zu zahlen. Wenn es aber ein sehr hoher Betrag ist, geben die engeren Familienangehörigen (meist mit dem gleichen Familiennamen) ihren Beitrag, die Strafe zu bezahlen. Wenn nicht, kann einer aus der Familie von den Angehörigen des Opfers umgebracht werden . Das geschieht nach zwei,  fünf oder fünfzehn Jahren, man weiß nicht wann.

Die 5 oder 7, die die Höhe des Betrages festlegen, der bezahlt werden muss, sind keine Dorfältesten im strengeren Sinn, sondern professionelle Erpresser wie die Mafia in Italien oder den USA. Sie versuchen es und und bekommen für sich 10% oder 25% des festgelegten Betrages. Manchmal noch  mehr. Sie benutzen wirksame Methoden, um die Leute zur Zahlung zu zwingen. Die Leiche vor das Haus des Beschuldigten zu legen oder dem Mörder mit Vergeltung zu schrecken ist eine Methoden.

Im Fall von M… geht es nicht um Mord, sondern um einen Unfall. Trotzdem ist die Strafe so hoch. Warum? Möglicherweise hat der Bürgermeister, dessen Jeep die Hochzeitsgesellschaft transportierte,    einen Deal mit den Erpressern und der Polizei gemacht, um die Last nur auf eine Partei zu legen. Sie wissen, M… arbeitet bei der Regierung. Er bekommt jeden Monat ein gutes Gehalt. Auch seine Frau arbeitet  bei der Regierung im Programm der Schulspeisung an Grundschulen. Deshalb können sie in dieser Größenordnung zahlen.

Der Hauptgrund scheint Neid und Eifersucht zu sein, das gibt es häufig in dieser Stämmegesellschaft. Und das scheint ein Hauptgrund dafür zu sein, dass niemand von der D…- Familie seine Stimme gegen die offensichtliche Ungerechtigkeit erhob, von M… eine solch hohe Summe zu verlangen und nichts von dem Bürgermeister, dessen Fahrer ebenso schuldig war. Es geht auch darum, die stolze und gut angezogene Frau von M. herunter zu machen.